Sobrie
Richte nicht den Wert der Menschen nur nach einer flücht'gen Stund', oben sind bewegte Wellen, doch die Perle liegt am Grund. [sobrie]
Richte nicht den Wert der Menschen nur nach einer flücht'gen Stund', oben sind bewegte Wellen, doch die Perle liegt am Grund. [sobrie]
Das kleine ICH BIN ICH
erzählt von Mira Lobe
gezeichnet von Susi Weigel
Copyright 1972 by Verlag Jungbrunnen, Wien – München
Und wieder ein Kinderbuchklassiker von Mira Lobe. Ein fröhliches, buntes kleines Tier erfreut sich seines Lebens, bis andere Tiere auf einmal wissen wollen was es denn ist. So macht es sich auf die Suche nach seiner Identität damit es wieder zur Ruhe kommen kann.
Auf der bunten Blumenwiese
geht ein buntes Tier spazieren,
wandert zwischen grünen Halmen,
wandert unter Schierlingspalmen,
freut sich, dass die Vögel singen,
freut sich an den Schmetterlingen,
freut sich, dass sich´s freuen kann.
Aber dann . . .
Aber dann
stört ein Laubfrosch seine Ruh
und fragt das Tier: „Wer bist denn du ?“
Da steht es und stutzt
und guckt ganz verdutzt
dem Frosch ins Gesicht:
„Das weiß ich nicht.“
Der Laubfrosch quakt und fragt: „Nanu ?
Ein namenloses Tier bist du ?
Wer nicht weiß, wie er heißt,
wer vergisst, wer er ist,
der ist dumm !“
Bumm.
Auf der bunten Blumenwiese
will das bunte Tier nicht bleiben.
Irgendeinen will es fragen,
irgendeiner soll ihm sagen,
WER ES IST.
„Guten Morgen Pferdemutter !
Guten Morgen Pferdekind !
Seid ihr nicht vielleicht zwei Tiere,
die mir ähnlich sind ?
Denn ich bin, ich weiß nicht, wer,
dreh mich hin und dreh mich her,
dreh mich her und dreh mich hin,
möchte wissen, WER ICH BIN.“
„Kleiner“, sagt das Pferdekind,
„deine Haare wehn im Wind
so wie meine.
Aber deine kleinen Beine, sind zu kurz,
und deine Ohren sind viel länger als bei mir,
nein, du bist ein andres Tier !“
Auch die Pferdemutter stupst es
mit dem weichen Pferdemaul:
„Niemals wird aus dir ein Gaul !
Bist ein Hasen-Katzen-Hund
oder sonst ein Kunterbunt,
hast ein lustiges Gesicht, doch ein Pferd ?
Das bist du nicht !“
Auch die Kuh sagt: „Nanu !
Was für einer bist denn du ?“
Schaf und Ziege, jeder spricht:
„Nein, ein Pferd, das bist du nicht !“
Auf dem Plitscher-Plätscher-Wasser
fährt ein Ruderboot spazieren,
und das bunte Tier darin
schwimmt gleich zu den Fischen hin.
„Guten Morgen, liebe Fische,
schaut mich vorn und hinten an !
Ob mir einer helfen kann ?
Denn ich bin, ich weiß nicht, wer,
schwimme hin und schwimme her,
schwimme her und schwimme hin,
möchte wissen, WER ICH BIN !“
Alle Fische, groß und klein,
kommen blitzschnell angeschossen,
fächeln freundlich mit den Flossen.
Alle wundern sich: „Nanu !“
Alle blubbern sie ihm zu:
„Tut uns leid, du buntes Tier,
hast zwar Augen so wie wir,
bist auch gar kein schlechter Schwimmer,
doch ein Fisch ? Nein ! Nie und nimmer !“
Auf dem Plitscher-Plätscher-Wasser
fährt das flinke Boot dahin;
und das bunte Tier darin
lässt sich auf den schnellen Wellen
weiter – immer weiter tragen.
Sieht auf einmal viele Inseln
ringsum aus dem Wasser ragen.
Weiße Vögel sitzen drauf,
sperren ihre Schnäbel auf.
„Diese Vögel“, denkt das Tier,
„warten hier, damit sie mir
sagen können, wer ich bin.“
Und schon lenkts den Kahn dorthin,
packt das Ruder fester an,
rudert was es rudern kann.
Aber dann . . .
Aber dann
macht das Tier mit seinem Kahn
beinah einen Purzelbaum.
Stößt wo an,
fährt wo drauf,
und die Inseln tauchen auf.
Vor ihm steht ein großes Nilpferd,
und das Nilpferd sagt „Nanu !
Was für einer,
bunter Kleiner,
bist denn du ?“
„Ach, ich bin, ich weiß nicht, wer,
fahre hin und fahre her,
fahre her und fahre hin,
möchte wissen, wer ich bin !“
Darauf geht das Nilpferd stumm
dreimal um das Tier herum,
grunzt und schnauft und seufzt und spricht:
„Wer du bist, dass weiß ich nicht !
Zwar sind deine Stampfer-Beine
grad so wunderschön wie meine.
Aber sonst ,du buntes Tier,
ist rein gar nichts wie bei mir.
Pony-Fransen, Dackel-Ohr,
so was kommt bei mir nicht vor.“
Als das Tier betrübt und still
seiner Wege ziehen will,
sagt zu ihm das Nilpferdkind:
„Kleiner Bunter, bist du blind ?
Schau doch, schau !
Ganz genau
so ein schöner Schwanz wie deiner,
nur vielleicht noch etwas bunter,
hängt da von dem Baum herunter.
Dieser Auf-dem-Baume-Sitzer,
dieser schöne Schwanz-Besitzer
Soll dir sagen, wer du bist !“
Und das Tier bedankt sich sehr,
fliegt dem schönen Schwanz-Besitzer,
fliegt dem Durch-den-Urwald-Flitzer
hinterher.
„Lieber Papagei, hör zu !
Bin ich nicht vielleicht wie du ?
Denn ich bin, ich weiß nicht, wer,
fliege hin und fliege her,
fliege her und fliege hin,
möchte wissen, wer ich bin !“
Verwundert macht der Papagei
die Augen auf und wieder zu,
und schnarrt und knarrt und kreischt: „Nanu !
Du dummer, kleiner Bunter, du,
wie lang dein Schwanz auch immer sei,
du bist bestimmt kein Papagei.
Lass mich in Ruh !“
An den dunklen Abendhimmel
hängt der Halbmond seinen Bogen;
eine kleine weiße Wolke
kommt daran vorbeigezogen.
Müde denkt das bunte Tier:
„So ein Himmelbett wär fein . . .“
Und schon legt es sich hinein,
reckt sich,
streckt sich,
und es deckt sich
mit der weichen Wolke zu,
macht auf angenehme Weise
schlafend eine lange Reise.
Wo wird es am Morgen sein ?
Durch die Stadt
und durch die Straßen
geht das bunte Tier spazieren
und begegnet neuen Tieren.
Trifft vor einem Bäckerladen
eine ganze Schar von Hunden.
Alle sind kurz angebunden,
alle zerren an der Leine,
dicke, dünne,
große, kleine,
ruppige und struppige,
seidige, geschmeidige,
gut dressierte,
schön frisierte,
schmale, breite,
Seite an Seite,
dumme Hunde
und gescheite.
„Guten Morgen, liebe Hunde !
Bin ich nicht vielleicht wie ihr,
ähnlich diesem Dackel hier ?
Denn ich bin, ich weiß nicht, wer,
suche hin und suche her,
suche her und suche hin,
möchte wissen, wer ich bin ?“
Alle Hunde, groß und klein,
bellen laut: „Was fällt dir ein ?
Hast zwar Ohren wir ein Dackel,
auch sein Freuden-Schwanz-Gewackel.
Aber deine kleinen Beine
sind nicht so schön krumm wie seine,
hast auch keine Hundeleine –
und bist überhaupt zu bunt
und kein Hund.“
Durch die Stadt und durch die Straßen
geht das bunte Tier spazieren;
geht – und denkt so vor sich hin:
„Stimmt es, dass ich gar nichts bin ?
Alle sagen, ich bin Keiner,
nur ein kleiner
Irgendeiner . . .
Ob’s mich etwa gar nicht gibt ?
Bin kein Fisch, kein Pony und
auch kein Nilpferd und kein Hund,
nicht einmal ein Hundefloh –
ooo !“
Und das kleine bunte Tier,
das sich nicht mehr helfen kann ,
fängt beinah zu weinen an.
Aber dann . . .
Aber dann bleibt das Tier mit einem Ruck,
mitten im Spazierengehen,
mitten auf der Straße stehen,
und es sagt ganz laut zu sich:
„Sicherlich
gibt es mich:
ICH BIN ICH !“
Durch den Park, auf allen vieren,
geht das ICH-BIN-ICH spazieren,
freut sich an der schönen Welt,
die ihm wieder gut gefällt.
Plötzlich sieht es übern Rasen
lauter runde Seifenblasen.
Viele helle,
bunte Bälle,
große, kleine,
zarte, feine,
wie aus Glas –
schön ist das !
Und das kleine ICH-BIN-ICH
fliegt zur allergrößten hin,
sieht sein eignes Bild darin,
sieht ein kleines
ICH-BIN-ICH: – SICH !
Patsch, da fährt es mit der Nase
mitten in die Seifenblase,
und der schöne Spiegelball,
der zerplatzt mit leisem Knall !
„Macht ja nichts !“ sagt das ICH-BIN-ICH.
„War ja nur mein Spiegeltier !
Es ist fort, und ICH bin hier !
Ich bin hier – und die Wiese,
wo die bunten Blumen stehn,
hab ich die nicht schon gesehn ?
So ein Glück,
bin zurück
auf der alten Wiese !“
Zwischen hohen grünen Halmen
geht das ICH-BIN-ICH spazieren,
dreht sich nicht mehr hin und her,
denn es ist – ihr wisst schon, wer.
Läuft gleich zu den Tieren hin:
„So, jetzt weiß ich, wer ich bin !!!
Kennt ihr mich ???
ICH BIN ICH !“
Alle freuen sich,
niemand sagt zu ihm „Nanu ?“
Schaf und Ziege,
Pferd und Kuh,
alle sagen:
„DU BIST DU !“
Auch der Laubfrosch
quakt ihm zu:
„Du bist du !
Und wer das nicht weiß,
ist dumm !“
Bumm.